Tango. Die Kunst, dass sich Fehler gut anfühlen.
Ich gebe zu, bei mir hat’s auch nicht gleich von Beginn an geklappt. Also mit den Fehlern schon, aber mit dem sich gut Anfühlen und so. So wie es sich angefühlt hat, war es eher verwandt mit dem Erster-Mensch-auf-Erden-Gefühl. Und normalerweise fällt es mir leicht Dinge zu lernen. Was macht den Tango so anders?
Meine Tangoreise hat in Frankreich begonnen, während meines Erasmus-Aufenthalts in Straßburg. Ich war von der ersten Stunde an süchtig. Das simple Gehen, kein Grundschritt wie im Standard oder Latein. Endlich Improvisation. Und immer wieder das Erster-Mensch-auf-Erden-Gefühl. In meiner Erinnerung habe ich es genossen. Genossen, dass etwas mal nicht gleich beim ersten Mal klappt. Oder war es mehr die Freude, dass andere Aspekte als die Schritte an sich im Vordergrund standen? Oder mit fast 20 Jahren Abstand schaue ich verklärt zurück auf die Stresssituation, die mein 21-jähriges Ich damals bewältigte.
Wie dem auch sei. Ich bin auf jeden Fall hängengeblieben beim Tango. Ein Aspekt der Faszination, erinnere ich mich noch, war, dass es mit jeder Person mit der ich getanzt habe, wieder ein neuer Tanz wurde. Und mit den Tangoreisen ließ sich die Mentalität der Städte im Tanz wiederfinden. Dann kam das Marathontanzen. Und die Erschöpfung brachte neue Kreativität mit sich. Da kommt ein Punkt, wo man gelangweilt ist vom eigenen Tanz, und nur ein klein wenig danach, plötzlich entsteht was Neues. Dimensionen, Elemente, die man weder gelernt oder darüber nachgedacht, geschweige denn sich überlegt hat. Es passiert einfach. Vor allem am Sonntag, wenn alle schon durchgeknetet sind von den vielen Stunden des Tanzens und mehrerer Nächte Schlafentzug.
Ich habe relativ früh zum Unterrichten begonnen. Ich hatte mir eingebildet, es gibt in Wien niemanden, der das unterrichtet, was ich für wichtig erachte. Auch dabei bin ich hängen geblieben. Interessanter Weise hat mich das Unterrichten zu einem besseren Schüler gemacht. Auch das Verständnis warum Technik, oder besser gesagt, welche Art von Technik wichtig ist, hat sich mir erst durch den Prozess des Unterrichtens erschlossen.
Vor ein paar Jahren in der ersten Einheit des Anfängerkurses kam als Antwort, warum die Teilnehmer Tango lernen wollten: „In tango there are no mistakes“. Keine Fehler, nur Variationen, eigene Varianten, Abwandlungen. Da wurde mir bewusst, an wie vielen Stellen mein Unterricht so konzipiert war, den Schülern Fehler zu ersparen. Wie viele Übungen ich mir ausgedacht hatte, um meinen Schützlingen die Irrwege zu ersparen, die ich selbst durchwandert war. Nicht, dass keine Korrektur notwendig ist. Aber nichts inspiriert so sehr, wie ein Fehler, der sich gut anfühlt.
Helmut Höllriegl, Tangolehrer und Gründer von Tango Inside Out